Räumliches Sehen (sog. „stereoskopisches Sehen“) ist die höchste Form des beidäugigen Sehens (Binokularsehen). Durch eine beidäugige Betrachtung der Umgebung vermittelt uns diese Art des Sehen eine dreidimensionales Tiefenwahrnehmung von Räumen und Gegenständen. Grundvoraussetzung für räumliches Sehen sind zwei aufeinander abgestimmte gesunde Augen mit synchroner Muskelsteuerung. Diese führt zu einer Verschmelzung der Bildeindrücke des linken und rechten Auges, die sich zu einem einzigen Bild ergänzen. Erfahre hier mehr über das räumliche Sehen.
Wie funktioniert räumliches Sehen ?
Räumliches Sehen (Binokularsehen) findet vor allem bei kurzen Distanzen Anwendung und funktioniert nur mit zwei simultan koordinierten Augen. Beide Augen fangen dabei stets einen minimal verschobenen Winkel beim Betrachten der Umgebung oder eines Gegenstands ein. Das bedeutet, dass auf der Netzhaut (Retina) Ihrer Augen ein leicht unterschiedliches Bild abgebildet wird. Der Grund dafür ist der unterschiedliche Fixationspunkt ihrer Augen. Beide Augen leiten die wahrgenommenen Informationen mittels des Sehnervs ans Sehzentrum des Hirns weiter. Durch einen Vergleich mit Erlerntem Wissen oder den eigenen Erfahrungen erzeugt das Gehirn dort dann ein dreidimensionales Bild.
Je weiter ein Objekt entfernt ist, desto mehr erreichen die Gesichtslinien der Augen einen Parallelstand. Erblickt man sehr nahe Objekte, neigen sich die Augen, im Gegensatz zur Fernsicht, zueinander in Richtung Nase. Durch stetige Anpassung der Brechkraft des Auges (Akkommodation) und der Krümmung der Augenlinse wird die Distanz an das betrachtete Objekt angepasst und eine scharfe Abbildung auf der Netzhaut gewährleistet. Diese Augenbewegungen nimmt der Mensch normalerweise nicht bewusst wahr. Bereits im frühen Kindesalter lassen Lernprozesse beide Augen automatisch den Punkt fixieren, den der Mensch tatsächlich betrachten möchte. Untersuchungen deuten darauf hin, dass es sich um eine erlernte Fähigkeit handelt.
Räumliches Sehen: Optische Täuschungen
Auf erlernten Fähigkeiten basieren unzählige optische Täuschungen, denn sie verwirren das Gehirn, das erfahrungsbasiert arbeitet, mit Eindrücken, die nicht so erscheinen, wie man es gewohnt ist. Das Sehzentrum des Gehirns verarbeitet nämlich alle gewonnenen Bilder und modelliert sie räumlich. Tauscht man das in der Regel fast identische Bild beider Augen (Stereobildpaar), wird die Tiefendarstellung umgekehrt und die Wahrnehmung gleicht dann dem pseudoskopischen Sehen. Hier liegen weiter entferntere Objekte scheinbar im Vordergrund und nahe Objekte werden als tiefere Bildebenen aufgenommen. Ist das Stereobildpaar mit der Position der Stereobildaufnahme identisch, ist das übliche räumliche Sehen bzw. das entsprechende Raumbild wahrnehmbar. Gleichen sich beide Halbbilder der Stereoaufnahme, dann ist keine räumliche Wahrnehmung mehr möglich.
Störungen des räumlichen Sehens
Das stereoskopische Sehen kann bei unterschiedlichen Fehlsichtigkeiten beider Augen gestört sein, da Bilder unterschiedlicher Größe im Gehirn ankommen und womöglich fehlerhaft verarbeitet werden. Eine Sehhilfe kann die Fehlsichtigkeit zwar korrigieren, löst aber nicht immer derartige Probleme. Da die Linse der Sehhilfe einen gewissen Abstand von den Augen selbst hat, kann das Bild im Auge fehlerhaft dargestellt werden, welches das räumliche Sehen letztendlich behindert, da Brechungsverhältnisse beider Augen zu unterschiedliche Differenzen aufweisen. In solchen Fällen wird der Augenarzt eher zu Kontaktlinsen raten.
Auch beim Schielen ist häufig kein dreidimensionales Bild möglich, da das schielende Auge bei angeborenen Schielerkrankungen den Seheindruck unterdrückt. Bei erworbenen Schielerkrankungen ist die Wiedererlangung des räumlichen Sehens durch entsprechende Behandlungsmaßnahmen wie Operationen oder Prismenbrillen deutlich vielversprechender. Wird aufgrund eines Verlustes oder Schielens lediglich ein Auge verwendet, ist ein räumliches Sehen ebenfalls nicht möglich. Das räumliche Sehen kann interessanterweise durch das Gehirn bis zu einem gewissen Faktor kompensiert werden. Deswegen ist es bspw. Einäugigen oder anderen Personen ohne räumliches Sehen erlaubt, Kraftfahrzeuge zu bedienen. Dies gilt nicht für Berufsfahrer.
Quellen:
Grehn, F.: Augenheilkunde. Springer-Verlag, Heidelberg, 31. Auflage, 2012.
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