Die Fähigkeit des räumlichen Sehens (stereoskopisches Sehen) ermöglicht dem Menschen die dreidimensionale Wahrnehmung seiner Umwelt. Durch räumliches Sehen können wir einschätzen, wie nah, wie weit, wie groß oder wie breit ein Gegenstand in unserer Umgebung ist. Eine genaue Einschätzung von Entfernungen beim Sport oder Autofahren wäre ohne diese Gabe zumindest theoretisch nicht möglich. Per Definition benötigt das Gehirn zum räumlichen Sehen zwei Augen, die ein- und denselben Punkt fixieren.
Ist räumliches Sehen mit nur einem Auge möglich?
Menschen mit nur einem funktionierenden Auge können de facto also nicht räumlich sehen. Erst wenn zwei Bildsignale vorliegen, kann das Gehirn den besagten dreidimensionalen Eindruck kreieren. Dennoch ist es möglich einen ganz normalen Alltag mit nur einem Auge zu leben.
Mutter Natur hat vorgesorgt
Es gibt bestimmte Mechanismen, die das räumliche Tiefensehen hervorragend kompensieren und nur mit Hilfe des monokularen Sehens ausgeglichen werden können. Monokulares Sehen ist zwar weniger detailliert, reicht aber aus, auch ohne räumliches Sehen einen normalen Alltag gestalten zu können. Menschen, die beispielsweise ein Auge infolge eines Unfalls verloren haben oder aufgrund einer Amblyopie nur einseitig sehen, vermissen den räumlichen Eindruck keineswegs. Einzig im Rahmen von feinmotorischem Arbeiten kann es in Folge des fehlenden räumlichen Sehens zu Schwierigkeiten kommen.
Unser Gehirn hat mit der Zeit gelernt, dass Objekte, die andere verdecken, vor diesen liegen müssen. Weiterhin gibt uns die Verteilung von Licht und Schatten Anhaltspunkte über Distanzen und räumliche Körper, die bestimmte Helligkeitsverteilungen auf Ihrer Oberfläche haben. Ebenso kann uns die Perspektive einen Hinweis auf Räumlichkeiten liefern. Unser Gehirn hat durch Erfahrungen gelernt, dass parallele Linien zu einem Fluchtpunkt sich einander nähern, je weiter sie entfernt sind. Erfahrungen und Gelerntes helfen dem Gehirn also, die fehlende 3D-Sicht quasi über einen Umweg zu kreieren.
Auch Menschen mit zwei völlig gesunden Augen profitieren von diesem Trick, funktioniert das räumliche Tiefensehen doch nur auf eine Distanz von etwa 200 bis 300 Meter. Betrachten wir beispielsweise eine weiter entfernte Bergkulisse, erscheinen uns die hinteren Berge für gewöhnlich blauer als die vorderen. Dies hilft dem Gehirn einmal mehr, die genaue Entfernung einzuschätzen.